Heute schon gelängt?

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(Bild: eigenes Material) (Bild: eigenes Material) In den Himmel loslassen und wachsen

Heute schon gelängt?

Seit ich Lehrerin für Alexander-Technik bin, hat sich mein Leben massgeblich verändert. So kommt es schon vor, dass ich morgens sehr früh von allein aufwache, so gegen halb sechs, mich wunderbar wach und präsent fühle, dem Gefühl tatsächlich auch nachgehe und aufstehe. Der Tag gehört mir – was mache ich zuerst?

Heute stelle ich mich an den Herd, um zu kochen. Und da passiert es dann zum ersten Mal an diesem Tag: ich fühle eine altbekannte Schwere und Unbeweglichkeit in mir und kann das Gefühl zunächst nicht zuordnen. Doch dann plötzlich ist wieder alles klar: ich nehme bewusst war, WIE ich das tue, was ich gerade tue. Heute früh nämlich: ich kauere förmlich mit gebeugtem Rücken über dem Topf, die Beine steif durchgedrückt! Ich bin in eine meiner alten, schädlichen Gewohnheiten zurückgefallen. WIE ich eine Tätigkeit verrichte ist nicht egal! Und hierbei ist es unerheblich, um welche Tätigkeit es sich handelt, denn meine Bewegungsmuster nehme ich in jede Tätigkeit mit.

Also Obacht!

Am Herd stehend lass ich los, lasse Länge zu – und alles ist wieder gut.

Was ist dieses ominöse „loslassen in den Boden“, Länge zulassen in den Himmel,

wovon in der Alexander-Technik so unentwegt die Rede ist?

Zunächst: es handelt sich NICHT um eine Übung, die wir drei mal am Tag auszuführen haben.

Die Länge unserer übereinander angeordneten Knochen bestimmt massgeblich unsere Körperhöhe. Dazu kommen die natürlichen Abstände zwischen den Knochen. Dort ist Platz für Knorpel (z.B. Bandscheiben) und Gelenkflüssigkeit, am deutlichsten ist uns dies vielleicht in der Wirbelsäule oder im Kniegelenk.

Was genau kann denn nun unsere Körperlänge im Laufe des Tages verändern?

Allgemein bekannt ist, daß wir am Abend „kleiner" sind, weil die Bandscheiben über den Tag komprimiert werden.

Doch warum ist das so und – MUSS das so sein?

Die Wirkung der Schwerkraft auf unseren aufrechten Gang kommt in den Sinn. Macht die Schwerkraft uns klein?
Der Mensch hat sich über Jahrmillionen evolutionärer Geschichte zu einem höchst effizienten Lebewesen entwickelt - auf dieser Erde - mit HILFE der Schwerkraft. Es wäre naiv anzunehmen, dass uns nun ebendiese Schwerkraft zum Verhängnis würde.

Aber was macht uns dann kleiner – und krummer, gebeugter?

Es sind die MUSKELN, die uns kleiner machen!

Jedes Gelenk, das ja zum Bewegen der beiderseitig befindlichen Knochen gedacht ist, wird von Muskeln überspannt, die ebendiese Bewegung ermöglichen. Der natürliche Zustand „gesunder“ Muskeln ist „gelängt“. Ist der Muskel in seiner natürlichen Länge, nehmen die in den Muskelfasern verteilt angeordneten Rezeptoren selbst geringste Längenänderungen (z.B. Kontraktion) des Muskels wahr und melden dies an das Rückenmark (kinästhetischer Sinn). Nach getaner (Kontraktions)Arbeit wird der Muskel wieder in seine natürliche Länge entlassen. So die Natur.

Und nun wir. Beraubt unserer natürlichen, „artgerechten Haltung in freier Wildbahn“ und „reduziert“ auf ein Funktionieren – und zwar schnell (!), können wir mit den Anforderungen, die das moderne Leben an uns stellt, nicht mehr unbeschadet mithalten. Stress und Überforderung, Angst und Leistungsdruck werden körperlich sichtbar in Form von permanent verspannten (=) verkürzten oder überdehnten Muskeln und solchen, die aufgrund von Nichtgebrauch erschlaffen und sich zurückbilden. Unsere Gestalt ist kollabiert, verzogen, gekrümmt, steif und immobil.

Die verspannten Muskeln verengen und verziehen die Gelenke, führen zu asymmetrischem Gebrauch und vorzeitigem Verschleiss des Gelenks. Und da wir es mit Gewohnheiten der alltäglichen Bewegungen zu tun haben, bemerken wir es erst, wenn es weh tut!

Ein altbekannter Trigger für verspannte Muskeln ist: „Dehnen!“ Warum ist das eine andere, aber leider sinnlose Alternative zu „Länge zulassen“? Hast du eine Idee? Gern diskutiere ich sie mir dir.

Die Gewohnheiten, sich auf bestimmte, schädliche Art im Alltag zu bewegen (z.B. sich hinsetzen und wieder aufstehen), gilt es zu bemerken.

Liegend im Schlaf kann sich die überbeanspruchte Muskulatur ein wenig erholen – der Mensch längt sich. Doch kaum sind wir wach, greifen alle alten Bewegungs- und Denkgewohnheiten und die Muskeln verspannen, werden kürzer und ziehen das überspannende Gelenk erneut zusammen.

So werden wir immer kleiner, krummer und unbeweglicher – das Leben beugt uns.
Doch dem können wir etwas entgegensetzen:

die bewusste Steuerung unser Bewegungen, unseres Selbst.

Die Alexander-Technik hilft dir bei dem „bewusst werden“ deiner schädlichen, alltäglichen Bewegungsgewohnheiten. Sie unterstützt dich auf deinem Weg, über neue Erfahrungen in eine befreiende, erleichternde, bewegliche LÄNGE zu gelangen.

Entscheide dich gegen das Krumme und Schiefe des Alltags!

Lass uns beginnen!

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